Das diakonische Netzwerk wächst
"Armut hat viele Gesichter" - unter dieser Unterschrift stand die 4. Diakonische Konferenz im Kirchenkreis Ronnenberg am Donnerstag, 8. Juni in Wettbergen. "Wir haben hier viele Fachleute im Raum, Hauptamtliche aus den Beratungsstellen oder den diakonischen Einrichtungen, die ihren Sitz im Kirchenkreiseinzugsgebiet haben, aber auch Ehrenamtliche, wie Diakoniebeauftragte aus verschiedenen Gemeinden. Die Veranstaltung dient dazu, uns gegenseitig zu informieren, aber auch neue Leute kennenzulernen und uns zu vernetzen", machte Superintendentin Antje Marklein in ihrer Begrüßung vor gut 25 Teilnehmenden deutlich. Und dies gelang, wie sie nach der Veranstaltung sagte. "Wir haben zum Beispiel in Workshops sehr viele kreative Ideen entwickelt. Die Themen der Workshops kamen von den Gäste selbst, waren also nicht vorgegeben", berichtet sie. Ein Fazit sei zum Beispiel, stärker in der Öffentlichkeit über Projekte und Angebote zu berichten, nach dem Motto "Tue Gutes und rede darüber". Denkbar ist eine Diakoniemesse oder junge Seniorinnen und Senioren zu gewinnen, die beim Ausfüllen von komplizierten Formularen helfen.
Im ersten Teil der Veranstaltung, die von Ralf Drewes und Stefanie Kuhlmann von der Gemeindeberatung der Landeskirche moderiert wurde, hörten die Gäste sechs Statements aus verschiedenen Arbeitsbereichen, die über die vielfältigen Gesichter der Armut berichteten. "35 Prozent der Menschen in Alten- und Pflegeheimen empfangen im Durchschnitt Sozialhilfe, im Brigittenstift sind es 28 Prozent. Die Zuzahlungen steigen weiter und ich gehe davon aus, dass auch die Zahl der bedürftigen Bewohnerinnen und Bewohner wächst", sagte Dirk Hartfiel, der Leiter des Brigittenstiftes in Barsinghausen und forderte vor allem die Politik auf, bei der Finanzierung durch Pflegekassen gegenzusteuern. "Nicht die Pflegeheime sind die Armutsfalle, schuld sind die Pflegekassen und die Politik". Vor allem zuletzt die Coronakrise und nun die steigenden Kosten hätten das Problem noch verschärft. Kirchenkreissozialarbeiterin Andrea Schink konnte von ähnlichen Entwicklungen berichten. "Alleinstehende, die Bürgergeld bekommen, haben circa 40 Euro zur Verfügung für Stromkosten, aber tatsächlich sind die Abschläge deutlich höher", nannte sie eine Lücke. Auch Medikamente übersteigen schnell das Budget. Oder eine Einschulung, die schnell 250 Euro koste, Geräte für einen digitalisierten Unterricht. "Es sind ganz normale Situationen, die für arme Menschen extrem belastend sind. Die Geldleistungen müssen aufgestockt werden", sagte sie. Armut hat viele Gesichter, und "je kleiner das Dorf, umso größer die Augen der Nachbarn", sagte Pastorin Ute Kalmbach. Deshalb gäbe es in ihrer Gemeinde in Kirchdorf und Langreder keine offen einsehbaren Spendenkörbe, auch um sozialen Druck zu nehmen, doch mehr zu geben, als eigentlich finanziell bei einer kleinen Rente möglich ist. Und deshalb seien auch alle Angebote der Gemeinde grundsätzlich kostenfrei.
"Für Senioren nimmt das Problem von Verschuldung oder auch Überschuldung zu", sagte Schulderberaterin Sabine Taufmann in ihrem Statement und deshalb ist sei auch seit 1. Juni mit einem Stellenanteil in der aufsuchenden Schuldnerberatung für Senioren und Seniorinnen tätig. Es seien vor allem die Situationen, in die schnell jemand "durch das ganz normale Leben" kommt, erklärte sie anhand eines Fallbeispiels einer Witwe, die ihre Eigentumswohnung verkaufen musste, um Erbberechtige auszahlen zu können, die nach und nach weiter in die Schuldenfalle rutschte und der schließlich der Gerichtsvollzieher den Tipp gab, sich an die soziale Schuldnerberatung des Diakonieverbandes Hannover-Land zu wenden. Jetzt bekommt sie Wohngeld. "Aber auch das hat fünf Monate gedauert, weil zurzeit die Wohngeldstellen überlastet sind".
Aus der diakonischen Arbeit vor Ort berichteten Pastorin Marion Klies und Irmgard Werres vom offenen Mittagstisch in der Johannesgemeinde Empelde und Meike Bischoff und Marianne Riecke vom #wärmewinter im Kirchenkreis. "Es gibt auch Armut an Kontakten und deshalb sind die Gespräche so wichtig, die beim Mittagstisch geführt werden", unterstrich Irmgard Werres. Zweimal in der Woche gibt es den Mittagstisch, bei dem es immer noch für 1 Euro ein Essen gibt, auch dank der oft höheren Spenden. Das Angebot trägt sich mittlerweile selbst. Und erstmals gab es den #wärmewinter der Diakonie, mit vielen kreativen Ideen. Mehrere hundert Paar Socken strickten zum Beispiel Egestorferinnen, die diese an die Tafel oder auch in die Ukraine spendeten. "Die Resonanz war insgesamt sehr positiv. Toll, dass Kirche das macht, habe ich häufig gehört. Es war ein Projekt, um soziale Armut und soziale Kälte aufzubrechen. Und auch Wettbergen ist nächsten Winter wieder dabei", sagte Marianne Riecke.
Fotos und Text: Freitag