Sigrid Haynitzsch: Bedingungslose Hilfe in Krisensituationen
Am 31. Juli dieses Jahres hat Sigrid Haynitzsch ihren letzten Arbeitstag in der Familien-, Paar- und Lebensberatung im Kirchenkreis Ronnenberg. Zwölf Jahre lang hat sie Menschen in Krisensituationen unterstützt und ihnen geholfen, nach Schicksalsschlägen einen neuen, guten Weg für sich zu finden. Nun geht sie in den Ruhestand. „Ich werde meine Klienten vermissen. Hier habe ich soviel Offenheit und Lebensmut erlebt; davon bleibt auch etwas bei mir haften. Die Auseinandersetzung zu bestimmten Themen wie Krisen- und Konfliktbewältigung, Lebenszielen oder Neuorientierung: Das ist für mich immer sehr inspirierend gewesen“, resümiert die Diplom-Pädagogin. Die Themen, mit denen Menschen die 1979 gegründete Beratungsstelle aufsuchen, sind heute ähnlich wie damals: Es geht um Beziehungsprobleme, Trennungen, Krankheit oder Tod eines Angehörigen, die eigene Erkrankung und daraus resultierende Zukunftssorgen, Depressionen oder Suizidgedanken. Das Angebot des Kirchenkreises ist konfessionell unabhängig. Menschen in Krisensituationen soll eine Hilfestellung gegeben werden und das passiert bedingungslos. Wer kann, beteiligt sich finanziell entsprechend dem eigenen Einkommen an der Beratung.
Sigrid Haynitzsch brachte viel berufliche Erfahrung mit, als sie 2009 die Stelle im Kirchkreis antrat. Nach ihrem Studium hatte sie in der Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen und als Verfahrensbeistand für Kinder vor Gericht in hochstrittigen Elternauseinandersetzungen gearbeitet. Parallel dazu absolvierte sie Fortbildungen in der Systemischen Familien- und in der Paartherapie. Während einer Supervision lernte sie die damalige Stelleninhaberin der Beratungsstelle kennen. Als diese in Rente ging, bewarb sich Haynitzsch und wurde genommen. „Es schien mir wie ein Sechser im Lotto mit 52 Jahren noch solch eine neue Herausforderung annehmen zu dürfen“, strahlt sie rückblickend. Die Diplom-Pädagogin ist direkt der Superintendentur zugeordnet. „Sowohl von Herrn de Boer als auch von Frau Marklein habe ich mich immer sehr unterstützt gefühlt. Beide hatten immer ein offenes Ohr für meine Anliegen. Das ist wichtig, wenn man so alleine in der Beratungsstelle sitzt“, erzählt die 65-Jährige. Zwischen 15 bis 18 Beratungen die Woche führt sie durch. In der ersten Sitzung schaut sie, ob die Beratungsstelle der geeignete Ort für das jeweilige Problem ist. Bei Bedarf vermittelt sie die Menschen weiter, zum Beispiel wegen Suchtproblemen oder einer vermuteten psychiatrischen Diagnose. Um die Menschen optimal zu betreuen, hat sie ein großes Netzwerk geknüpft. Sie arbeitet mit dem Hospizdienst „Aufgefangen“, der Kirchenkreissozialarbeiterin, der Schuldnerberatung, dem Wohnungslosenhilfeprojekt „RoSe“, einzelnen Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und –therapeuten zusammen.
Alle vier bis sechs Wochen geht die Mutter zweier erwachsener Kinder zur Supervision, um ihre Arbeit zu reflektieren. Das ist wichtig, denn die Schicksale gehen auch an ihr nicht spurlos vorüber. Immer wieder begegnen ihr Menschen mit den gleichen schwierigen Fragen: Warum trifft es gerade mich? Warum dieses heftige Schicksal? Wie soll es für mich weiter gehen? Die erfahrene Beraterin ermutigt ihre Klientinnen und Klienten, zu reflektieren, was sie in ihrem Leben bereits gut bewältigt haben und wie sie durch vorherige Krisen gekommen sind. „Jede Krise ist ernsthaft, aber eröffnet auch neue Möglichkeiten. Der Glaube kann eine Stütze sein, muss aber nicht“, weiß Haynitzsch. Im Laufe der Jahre und mit weiteren Fortbildungen hat sich der Fokus ihrer Wahrnehmung in der Beratung verändert. In ihren Gesprächen wurde zunehmend offensichtlich, wie lebens- und verhaltensbestimmend Traumatisierungen im Leben sein können. Deshalb machte sie 2014/15 eine Traumapädagogik-Ausbildung und lernte, dass Menschen oft nicht den Zusammenhang zwischen ihrem eigenen Erleben und dem vergangenen Trauma sehen. „Traumata können verschüttet sein oder Jahrzehnte her, trotzdem kann das Auswirkungen auf das Vertrauen zu anderen Menschen oder Beziehungen haben“, erklärt die Lebensberaterin. Überhaupt sind Beratung und Therapie ständigem Wandel unterworfen: „Im Moment richtet sich das Augenmerk zunehmend auf den Körper, nicht mehr nur auf das miteinander Reden. Es geht auch um Achtsamkeit, Kontrolle des Atems und positives Denken“, erklärt die gebürtige Hannoveranerin, die heute in Springe wohnt. „Man muss mit Fortbildungen am Ball bleiben“, ergänzt sie. Ebenso wichtig ist es aber, regelmäßig den Kopf frei zu bekommen. Sigrid Haynitzsch ist deshalb viel mit ihrem Hund im Wald unterwegs. Sie beginnt den Tag mit Yoga und sie liebt Spieleabende mit ihren Freundinnen (wenn sie denn wieder erlaubt sind). „Ich mag es, kindlich sein zu dürfen“, schmunzelt sie. Für die Zeit nach ihrer Pensionierung hat sie auch schon Pläne: Sie möchte sich ehrenamtlich im Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e. V. (NTFN) engagieren, politisch in ihrem Dorf mitmischen und eventuell eine Hospizausbildung machen.
Text: Kirsten Klöber, Foto: Freitag